|
Im letzten Teil haben wir schon ein wenig mit
Wahrscheinlichkeiten und Zufällen spekuliert. Heute wollen
wir uns mit Hilfe weiterer Tabellen auf den etwas
schwankenden Boden der Wahrscheinlichkeitsrechnungen begeben. Wir werden dann unterscheiden
lernen, wo wir sichere Aussagen machen können und wo wir
leider trotz unserer Berechnungen auf Spekulationen
angewiesen
bleiben. Aber zunächst zurück zur Tabelle l/Teil 4. Wir
haben für einen schwarzen Kurzhaar-Kater drei Gene
(Farbdichte, Haarlänge, Geschlechtsbestimmung) in den
Blickwinkel unserer Aufmerksamkeit gerückt und die
verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten der dazugehörigen Allele bei der Spermienentwicklung bestimmt. Wir sind davon
ausgegangen, daß wir auch den Genotyp unseres Katers genau
kennen und haben herausbekommen, daß acht verschiedene
Spermientypen möglich sind.
Wahrscheinlichkeitsberechnungen leben von großen Zahlen,
wie Statistiken. Je größer die Anzahl der Individuen (hier
Anzahl der Spermien) ist, desto genauer sind die
berechenbaren prozentualen Anteile. Da Spermien immer im
Überschuß produziert werden, also sehr viel mehr als zur
Befruchtung notwendig sind, können wir davon ausgehen, daß
trotz aller Zufälle bei der Anordnung zur Metaphase-I alle
acht Typen etwa gleich häufig vorkommen.
Prozentuale Anteile der Spermientypen sind berechenbar
Wie häufig, nun das ist einfach. Es sind acht
verschiedene Spermientypen möglich, also macht jeder Typ
genau 1/8 der gesamten Spermienanzahl aus. Aber in
Wahrscheinlichkeitsrechnungen arbeitet man nicht gerne mit
Brüchen oder Bruchteilen, sondern man wandelt diese in
Dezimalzahlen oder Prozente um. Dazu teilt man einfach den
Zähler des Bruches durch den Nenner, also: 1:8 = 0,125.
Jetzt brauchen Sie nur noch das Komma um zwei Stellen nach
rechts zu verschieben, dann haben Sie die entsprechende
Prozentzahl, also: 1:8 = 0,125 = 12,5 %. Jetzt kann man
sagen, daß ein bestimmter Spermientyp (zum Beispiel der mit
der Allelenkombination d,l,Y) mit einer Wahrscheinlichkeit
von 0,125 auftreten wird oder daß 12,5 Prozent der Spermien
diese bestimmte Allelenkombination tragen. Natürlich müssen
alle Wahrscheinlichkeiten zusammen l ergeben und alle
Prozentzahlen zusammen 100 Prozent. Wenn nicht, dann müssen
wir uns auf die Suche nach einem Rechenfehler machen. Bei
unserer Modell-Katze (Tabelle 2/Teil 4) sieht die Sache
zunächst sehr viel einfacher aus. Es gibt nur zwei Typen von
Eizellen, also macht jeder Einzeltyp die Hälfte der gesamten
Eizellenzahl aus.1:2 = 0,50 = 50 % Wenn wir jetzt berechnen
wollen, wie häufig aus dieser Verpaarung ein blauer
Langhaar-Kater (d/d, 1/1, Y/Y) fällt, brauchen wir nur noch
die Wahrscheinlichkeit für die entsprechenden
Allelenkombination im Spermium (d, l, Y) = 0,125 mit der
Wahrscheinlichkeit der notwendigen Allelenkombination in der
Eizelle (d, l, X) = 0,5 miteinander zu multiplizieren: 0,125
x 0,5 = 0,0625 = 6,25 % Wenn wir also strikt nach unseren
Berechnungen gehen, dann erreichen wir unser „Zuchtziel"
blauer Langhaar-Kater aus dieser Verpaarung nur mit einer
Wahrscheinlichkeit von 0,0625, oder nur 6,25 Prozent aller
Jungtiere zeigen die gewünschten Merkmale.
Theorie berücksichtigt den Zufall
Anders ausgedrückt heißt das, daß nur jedes 16. Baby
unseren „Zucht"-Vorstellungen entspricht. So viel zur
theoretischen Mathematik. Und wo steckt nun der Zufall?
Spielen wir ein wenig mit den gefundenen Zahlen und
versuchen damit herauszufinden, welche Aussage wir machen
können. Unsere Berechnung besagt lediglich, daß unter den
ersten drei bis vier Würfen eigentlich ein blauer
Langhaarkater auf die Welt kommen müßte. Das kann gleich im
ersten Wurf passieren, dann haben wir Gluck gehabt. Unser
„Wunsch-Kater" kann aber auch erst im 4. Wurf auftauchen,
oder es werden im 8. Wurf (immer unter der Voraussetzung,
daß in jedem Wurf vier Babys zur Welt kommen) gleich zwei
blaue Langhaar-Kater geboren, oder im 16. Wurf sogar alle
vier auf einmal. Wenn Sie sich die Mühe machen und alles
nachrechnen, werden Sie sehen, daß alle Annahmen mit der
zuvor berechneten Wahrscheinlichkeit 0,0625 übereinstimmen.
Die Zahl 0,0625 deutet ja darauf hin, daß das erwartete
Ereignis sehr selten auftreten wird. Und dann dürfen wir
nicht vergessen, daß uns der Zufall noch kräftig
dazwischenpfuscht.
"Der lange Marsch" der Spermien begünstigt den Zufall
Da sind zunächst die Spermien. Wir haben schon vermutet,
daß wegen der großen Anzahl die Häufigkeiten den
Berechnungen wohl sehr nahe kommen. Aber nicht alle
gebildeten Spermien sind auch lebens- und bewegungsfähig.
Die Spermien, die zur Befruchtung kommen, müssen jedoch
vollkommen und fit sein, denn nach der Ejakulation haben sie
noch einiges vor sich. Sie müssen ja zu der unbeweglichen
Eizelle hinschwimmen, und das ist für so ein kleines Gebilde
ein gewaltiger Weg. Auf diesem langen Marsch gehen viele
zugrunde. Dann gibt es da noch einen Unterschied. Man sagt,
daß die Spermien mit dem X-Chromosom zwar ausdauernder sind
dafür seien aber die mit dem Y-Chromosom schneller. Und
dann, mit letzter Kraft bei der Eizelle angekommen, müssen
sie auch noch die relativ stabile Eihülle durchdringen, auch
da bleibt noch manches Spermium auf der Strecke. Durch all
diese Widrigkeiten kann das vorher so schön ausgewogene
Gleichgewicht der Häufigkeiten sehr schnell verschoben
werden. Dann die Entwicklung der Eizellen. Wir haben schon
gesehen, daß allein der Zufall bestimmt, welches von den
vier Teilungsprodukten der Meiose tatsächlich zur Eizelle
wird. Aufgrund der kleinen Zahl der Oogonien, die sich pro
Zyklus zur Eizelle entwickeln und dann zum Eisprung kommen,
wird hier im Gegensatz zur Spermienentwicklung von
vornherein ein Ungleichgewicht das Ergebnis sein. Dies alles
mag ja für unsere Planungen sehr unbefriedigend sein, aber
es ist uns ja auch schon geholfen, wenn wir voraussagen
können, daß eine bestimmte Merkmalskombination bei den
Nachkommen aus einer bestimmten Verpaarung „häufig",
„selten" oder „fast gar nicht" vorkommen kann. Viel
wichtiger scheint mir die Aussage, was bei einer Verpaarung
überhaupt oder überhaupt nicht herauskommen kann. Darüber
hinaus lassen sich durch sorgfältige Analysen häufig auch
noch eventuelle Lücken im Genotyp der Elterntiere schließen.
Die Tabelle l zeigt ein allgemeines Raster zur Durchführung
solcher Kreuzungsanalysen. Oben werden alle möglichen
Allelenkombinationen der Eizellen eingetragen, links die
Allelenkombinationen in den Spermien. In den Feldern 1-64
lassen sich dann durch einfaches Zusammenschreiben die zu
erwartenden Genotypen entwickeln und daraus die möglichen
Phänotypen ableiten. Gleichzeitig lassen sich aus dieser
Tabelle dann die Häufigkeiten bestimmter
Merkmalsausprägungen oder Merkmalskombinationen ablesen. Die
Felder sind deshalb durchnumeriert, damit später bei der
Besprechung des Ergebnisses nicht immer der ganze Genotyp
wiederholt werden muß, sondern der Hinweis auf ein
bestimmtes Feld genügen kann.
Phänotyp ist nicht gleich Genotyp
In Tabelle 2 sind die Kombinationen aus Tabelle 2/Teil 4
(oben) und Tabelle l/Teil 4 (links) eingetragen und die
möglichen Genotypen ausgefüllt. Aus der freien
Kombinierbarkeit von zwei Einzeltypen mit acht Spermientypen
vererben sich glücklicherweise nur 2 x 8 = 16 Genotypen,
sodaß die Besprechung einfacher sein wird als Sie erwartet
haben, als Sie die 64 Felder aus Tabelle l gesehen haben.
Ich habe aber das Raster absichtlich nicht verkleinert, weil
wir später sicher noch Verpaarungen diskutieren, bei denen
64 Felder durchaus notwendig und sinnvoll sind. Fangen wir
mit Feld l an, das ist phänotypisch eine schwarze
Kurzhaar-Katze.Wenn wir auf die Suche nach demselben
Phänotyp gehen, werden wir auf den Feldern 9 und 3 fündig,
wobei es sich bei diesen beiden auch noch um denselben
Genotyp handelt. Es bleibt allerdings die Einschränkung, daß
wir ein schwarzes Kurzhaar-Kätzchen keinem der beiden
Genotypen (Feld l einerseits und Felder 9+3 andererseits)
zuordnen können. Auf jeden Fall können wir aber sagen, daß
mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,1875 (3/16 = 0,1875 =
18,75 Prozent) schwarze weibliche Kurzhaarwelpen im Wurf zu
finden sein werden.
Katze►
Kater▼
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
01
|
09
|
17
|
25
|
33
|
41
|
49
|
57
|
|
02
|
10
|
18
|
26
|
34
|
42
|
50
|
58
|
|
03
|
11
|
19
|
27
|
35
|
43
|
51
|
59 |
|
04
|
12
|
20
|
28
|
36
|
44
|
52
|
60 |
|
05
|
13
|
21
|
29
|
37
|
45
|
53
|
61
|
|
06
|
14
|
22
|
30
|
38
|
46
|
54
|
62
|
|
07
|
15
|
23
|
31
|
39
|
47
|
55
|
63
|
|
08
|
16
|
24
|
32
|
40
|
48
|
56
|
64
|
Im Feld 2 finden wir den Genotyp für ein schwarzes
Kurzhaar-Katerchen. In den Feldern 10 und 4 steht ein
zweiter Genotyp, der aber zum gleichen Phänotyp wie der von
Feld l führt. Es gelten also die gleichen Aussagen über
Einschränkungen und Wahrscheinlichkeiten wie oben. Wenn wir
einmal das Geschlecht außer acht lassen, dann ergeben sich
aus unserer Modell-Verpaarung mit einer Wahrscheinlichkeit
von 0,375 (6/16 = 0375 = 37,5 Prozent) schwarze
Kurzhaar-Babys, das sind also eventuell etwas mehr als ein
Drittel des gesamten Wurfes, wenn uns der Zufall nicht allzu
übel mitspielt. Dieselben Zahlenverhältnisse finden wir in
Feld 5, den Feldern 13 und 7 sowie im Feld 6 und den Feldern
14 und 8 für blaue Kurzhaar-Katzen einerseits und blaue
Kurzhaar Kater andererseits. Aber wir können aus dem
Auftreten der blauen Farbe erstmals einen zuverlässigen
Rückschluß auf den Genotyp des Katers wagen, falls dessen
Hetereozygotie bezüglich der Farbdichte nicht bekannt
gewesen wäre. Da die blauen Nachkommen auf jeden Fall
homozygot (dd) sein müssen, brauchen sie sowohl von der
Mutter wie auch vom Vater ein rezessives d, der Kater muß
also als schwarzes Tier heterozygot (Dd) sein, anders geht
das gar nicht. Wir können das Ergebnis bis hierher auch
anders beschreiben: Über zwei Drittel der Welpen werden
kurzhaarig sein. Die eine Hälfte davon ist schwarz, die
andere blau.
Katze►
Kater▼
|
dLX |
dlX |
|
|
|
|
|
|
DLX |
DdLLXX |
DdLlXX |
|
|
|
|
|
|
DLY |
DdLLXY |
DdLlXY |
|
|
|
|
|
|
DlX |
DdLlXX |
DdllXX |
|
|
|
|
|
|
DlY |
DdLlXY |
DdllXY |
|
|
|
|
|
|
dLX |
ddLLXX |
ddLlXX |
|
|
|
|
|
|
dLY |
ddLLXY |
ddLlXY |
|
|
|
|
|
|
dlX |
ddLlXX |
ddllXX |
|
|
|
|
|
|
dlY |
ddLlXY |
ddllXY |
|
|
|
|
|
|
Heterozygote Merkmale zeigen sich in den Nachkommen
Und der Rest? Das sind die eher seltenen ausgefallenen
Phänotypen, die aber den Vorteil haben, daß sich der
dazugehörige Genotyp zweifelsfrei festschreiben läßt.
Schauen wir uns Feld 11 an: ein neuer Phänotyp, der weder
Mutter noch Vater gleicht. Die Katze ist schwarz, aber
langhaarig. In Feld 12 steht der Genotyp des entsprechenden
Katers. Die beiden Welpen müssen bezüglich der Farbdichte
heterozygot sein, sonst wären sie nicht schwarz. Da die
Mutter nur das Verdünnungsallel (d) liefern kann, müssen sie
vom Vater die volle Farbe (D) geerbt haben. Sie müssen aber
auch unbedingt von beiden Eltern je ein Langhaar-.Allel (11)
bekommen haben, denn sonst würde das dominante
Kurzhaar-Allel (L) durchgeschlagen haben. Umgekehrt können
wir daraus schließen, daß beide Eltern bezüglich der
Haarlänge heterozygot sein müssen, denn sonst könnten sie
als Kurzhaar-Katzen die Langhaarigkeit nicht vererben. Die
Wahrscheinlichkeit für das Auftreten dieses Phänotyps
beträgt 0,0625 (1/16 = 0,0625 = 6,25 %) oder für Katze und
Kater zusammen 0,125 oder 12,5 Prozent. Bleiben noch zwei
Felder übrig, nämlich Feld 15 und Feld 16. Auch dort
versteckt sich ein neuer Phänotyp: blau und langhaarig als
Katze (Feld 15) und als Kater (Feld 16). Die
Wahrscheinlichkeiten stimmen wieder mit denen aus den
Feldern 11 bzw. 12 überein. Wir haben weiter oben über
diesen Kater (Feld 16) als „Zucht"-Ziel unserer
Modell-Verpaarung schon spekuliert und sind auf anderem
Rechenweg zu derselben Wahrscheinlichkeit von 0,0625
gekommen. Es führen offensichtlich mehrere Wege zum Ziel.
Die Auswahl des Weges hängt davon ab, welche Aussage man
machen will. Wenn man bestimmen will, welche Merkmale oder
welche Merkmalskombinationen vorkommen bzw. nicht vorkommen
können, bleibt sicher nichts anderes übrig, als alle drei
Tabellen zu Hilfe zu nehmen. Wenn man nur berechnen will,
mit welcher Wahrscheinlichkeit ein bestimmter Phänotyp
auftreten wird, genügt die weiter oben beschriebene einfache
Berechnung.
Und nun eine kleine Aufgabe
Nehmen Sie die Tabelle „Allelenkombinationen" vom Schluß
des letzten Teils und füllen Sie sie aus, einmal für unsere
blaue Kurzhaar-Katze und einmal für unseren schwarzen
Kurzhaar-Kater. Aber ersetzen Sie alle unklaren Allele durch
den Bindestrich als Platzhalter, gehen Sie jeweils nur vom
Phänotyp aus. Übertragen Sie dann die Ergebnisse inklusive
Platzhalter auf die nachfolgende Tabelle 3. Wir werden dann
im nächsten Teil das Ergebnis ausführlich diskutieren. Viel
Spaß beim Ausfüllen und beim Nachdenken darüber, was daran
denn so viel anders sein soll als in Tabelle 3.
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Dipl. Biologe R.
Fahlisch
"Dreamhunter Cattery"
Das Copyright für den oben genannten Text, liegt sowohl beim
Autor des Textes Herrn R. Fahlisch, sowie bei dem Betreiber
dieser Seiten, Frau Ute Kunze. Eine Vervielfältigung oder
Verwendung des Textes in anderen elektronischen oder
gedruckten Publikationen ist ohne ausdrückliche Zustimmung
von Herrn Fahlisch und Frau Kunze nicht gestattet. |
|